Samstag, 27.12.25, 3 p.m., Isthmian League Premier Division, 13. Spieltag, The Enclosed Ground

Disclaimer: Diese(r) Blog(-Rubrik) ist im Stile alter klassischer Punk-Egozines (Ego-Fanzines) gestaltet. Sprich es geht hier primär um das (Er)Leben der jeweils schreibenden Person und das kann manchmal sehr weit über den Aufhänger (das Spiel) des Berichtes hinaus gehen. Wir haben weder den Fokus auf (Vollständigkeit) fanspezifische(r) Themen und erst Recht nicht auf das sportliche Geschehen. Für beides sehen wir andere digitale und physische Publikationen für geeigneter an und auch nicht alles was uns durch die Hirse geht und/oder geschieht, muss hier auch rein. Es ist also alles sehr persönlich. In diesem Sinne: Enjoy oder auch nicht.

Vorgeplänkel

Zugegeben: Ob es der 13., 11., 14. oder 12. Spieltag ist: Ich weiß es nicht. In dieser "semiprofessionellen" 7. Liga sind 22 Teams, die gefühlt alle eine andere Anzahl von Spielen haben. Wobei der Ligenbaum nicht so sehr in die Breite geht, als dass mensch diese Liga - auf teutsche Verhältnisse mal runtergerechnet - tatsächlich mit der Bezirksliga (zumindest in NRW dürfte das die 7. Liga sein) vergleichen könnte.

Gespielt wird jedenfalls im 2.000 Menschen fassenden Enclosed Ground und der liegt genau hinter dem Campingplatz, auf dem wir immer verweilen, wenn wir hier mal zu wärmeren Zeiten anwesend sind. Hier = Brighton, das Veganer*innen-Paradies, mit Steinstrand, Pier, sichtbarer LGBTQIA+-Szene, ganz viel bunten Sachen, wundervollen Pubs und natürlich vielen auch durch den Quadrophenia-Film und entsprechend dem jährlichen Brighton Mod Weekender bekannt. In der Summe unser Lielingsstädtchen, in das es uns jedes Jahr aufs neue zieht.

Irgendwann vor ein paar Jahren wurden wir auf diverse antifaschistische und sonstige ansprechende, da Antidiskriminierung betonende Sticker vor unserem Campingplatz aufmerksam. Sie stammten von Whitehawk-Fans und schnell fanden wir heraus, dass dieser Verein und seine Fans für ähnliche Werte stehen, wie unser FCSP.

Seit Jahren nehmen wir uns vor, hier mal vorbei zu schauen. Mich kostet sowas ja aus unerklärlichen, neurodivergent verursachten Gründen eine Menge Überwindung, in erster Linie, weil ich schlichtweg kein Englisch verstehe und ich ständig befürchte, angesprochen zu werden ohne reagieren zu können. Das ist mir jedes einzelne Mal unfassbar unangenehm. Ein paar zusammenhängende Worte sprechen geht, aber ich verstehe keinen einzigen Satz. Meine schlechten Ohren spielen da sicher eine Rolle, denn mein Gehirn schafft es abseits meiner Muttersprache nicht, nicht gehörte Silben oder nicht verstandene Worte, sinnvoll dazu zu dichten. Aber auch in der Schule war ich für jede Fünf Minus dankbar, die mich (bis auf einmal) noch in die nächste Stufe katapultierte.

flyer wfcUnd was natürlich für unsere Skepsis in den letzten 1-2 Jahren noch eine Rolle spielte: Das Thema Nahost, denn nicht nur auf musikalischer Ebene, sondern auch bei als links geltenden Fanszenen ticken die Ansichten in UK bekanntermaßen anders, als beim überwiegenden Großteil der FCSP-Fans. Ich habe auch deswegen schon keinen Bock, mich als St. Paulianer zu erkennen zu geben (den Drang habe ich bei Spielen ohne FCSP-Beteiligung abseits von tatsächlichen freundschaftlichen Beziehungen allerdings eh nicht). Ein Umfeld, wo ich als FCSP-Fan als böser Zionist gelten würde, da muss ich nicht hin.

Doch genau diese Atmosphäre habe ich bei meiner Recherche im Netz zum Glück nicht gefunden. Lediglich ein Foto konnte ich ausmachen, auf dem eine Person abseits des Geschehens mit stockloser Palästina-Fahne und eine daneben stehend mit "Show Israel The Red Card"-Pappschild zu sehen waren. Also im Verhältnis auch nicht so viel anders, als am Millerntor.

Ergo: ab zu diesem Derby zwischen dem Tabellenzwölften und Tabellenzehnten mit Tickets für 13 Pfund (rund 15 Euro), die wir irgendwie nach einigen Versuchen haben bestellen können. Denn tatsächlich wollte der Ticketshop meine Bestellung erst nicht schlucken und ich dachte die ganze Zeit, es liegt an der teutschen Adresse, da es möglicherweise nur Hardtickets gäbe, die nicht über den Kanal verschickt werden. Der Grund lag aber irgendwo in der Personalisierung (7. Liga!) der beiden Einzeltickets und der Zuordnung. Was es am Ende genau war, habe ich nicht kapiert, irgendwann ging es aber mit einem neuen Account und einer zusätzlich hinterlegten E-Mail-Adresse für die 2. Person.

Es gibt trotz ein paar kleiner Tribünen übrigens nur eine Ticketkategorie, mit der mensch dann gleich vermutlich hin darf, wo auch immer mensch will. 

Und last but not least des Vorgeplänkels: Einen komischen Humor haben sie hier offenbar schon. Siehe den Spielankündigungsflyer zur linken.

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Matchday

Wir kommen ca. 75 Minuten vor Spielbeginn an und am einzigen Eingang ist noch nichts los. Da uns ein Ordner aber extra ein Nebentor für VVK-Ticket-Holder neben den beiden - in UK gewohnt - schmalen Stadionkassen (eine für "Cash", eine für "Card") öffnet, deutet wenig darauf hin, dass viele Leute sich die Tickets tatsächlich im VVK holen, was diese komische Personalisierung je Ticket noch fragwürdiger macht.

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Heute öffnet die neue Fanzone und wir sind angesichts der großen Ankündigung äußerst gespannt und rechnen mit einem großen Clubheim, in dem sich die Massen tummeln. Stattdessen ist es aber eine sehr schöne, gemütliche kleine Ecke outside (von der ich tatsächlich vergessen habe ein Foto zu machen) und als S. ein Cider bestellt, reicht die Restmenge im Fass für einen 3/4 vollen Becher und ein neues Fass ist leider auch nicht am Start. Als wir später, ziemlich genau zur Mitte der 1. Halbzeit nochmal Nachschub ordern wollen, ist dort bereits eine Schlange von ca. 30 Leuten. Wir entscheiden uns dann für die eh viel coolere Abstinenz.

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Das Stadion ist schon arg in die Jahre gekommen, ist aber äußerst charmant. Hinter dem einen Tor eine unüberdachte Stahlrohrtribüne mit Sitzschalen. Hier begeben wir uns auch zunächst hin, weil die Sonne uns zwar in die Augen, aber auch sonst auf den Körper scheint, was das Klima (zum jetzigen Zeitpunkt noch) absolut verträglich macht. Leider ist das auch genau die Ecke, in der dann zum Anstoß die Gäst*innenfans auftauchen, die hin und wieder ein klein wenig Stimmung machen. 3-4 Fahnen am Zaun, jedoch keine Ultras oder irgendwelche anderen Fans, die wir so optisch als "organisierte Fanszene" - so wie wir sie verstehen - ausmachen.

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Auf der anderen Seite: Auch Stahlrohrtribüne, aber irgendwie anders. 50% ist überdacht und das Ganze erinnert an ein Baugerüst, zumal mensch hier die Streben auch vor den Augen hat.

Ich hatte schon das Internet gefragt, wieso Whitehawk keine Support-Ecke mehr hat, wie es mir doch aus diversen Youtube-Videos bekannt war. Doch just in dem Moment, in der 3. Spielminute, marschieren plötzlich von weitem geschätzte 50 Leute auf, hängen eine Regenbogenfahne an den Zaun hinter dem Gäst*innen-Keeper und fangen mit einer Trommel und ihren Stimmen leicht verspätet an, ihr Team hin und wieder anzufeuern. Warum erst in der 3. Minute, dazu kommen wir später. 

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Eine kleine Haupttribüne, mit wenigen Sitzreihen und in der Mitte ein paar Stehreihen, gibt es auch noch. Wir pendeln zwischen allen drei Tribünen, was vor allem daran liegt, dass uns irgendwann arschkalt ist und wir eine Stelle ohne Durchzug suchen.

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Auf der nicht vorhandenen Gegengerade sind übrigens nur die beiden Ersatzbänke und als Zuschauer*in hat man überhaupt keinen Zutritt. Es sei denn, mensch verlässt erst gar nicht den Parkplatz und macht sich einen romantischen Nachmittag, so wie diese beiden hier:

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Insgesamt habe ich mir vom Support doch mehr versprochen und rein optisch wäre ich hier auch nicht auf die Idee gekommen, dass Verein und Fanszene als ausgesprochen links und antidiskriminierend gelten. Ach ja: und was das Thema Nahost angeht, machen wir am Ende auf jeder Seite eine Kufiya aus.

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Geschätzt sind hier ca. 1.000 Leute, davon 100 aus Lewes. Aber ich kann das auch echt schwer schätzen, es können auch 1500:300 oder wie viel auch immer gewesen sein.

Ein ganz dickes "Buuuuh!" gibt es bei der (wie gewohnt) zweigeschlechtlich ausgerichteten WC-Anlage für die für die weiblich gelesenen Besucher*innen bereitgestellten Örtlichkeiten: Exakt 1 Klo! (bei den sogenannten "Herren-WCs" gab es hingegen 2 Pissoirs und 3 Kabinen)

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Ich bin ja kein Groundhopper und werde es in diesem Leben auch nicht mehr werden. Ich habe auch ewig kein anderes Fußballspiel abseits des FCSP mehr live gesehen (das letzte tatsächlich vor exakt 1 Jahr, ebenfalls in Brighton, wo Fabi's Albions auf Brentford trafen und das auch nur, um ihm einmal kurz zu winken). Höchstens mal im TV und dann auch nur Bundesliga. Aber wenn ich mich so an meine aktive Zeit zurück erinnere, in der ich je nach Alter, Lust und sonstigen Hobbys neben der damaligen "höchsten Jugendklasse" (Niederrheinliga, Bundesliga gab es noch nicht) immerhin eine Spannweite von 5 Ligen auf meiner Biografie stehen habe, dann erinnert mich das da unten eher an Kreis-, als an Bezirksliga. Wobei auch der Rasen extrem holprig war und so einiges zu wenig filigranen Stafetten beigetragen hat. Vielleicht sind meine Erinnerungen in den letzten 20 Jahren (so lange ist es her, dass ich selber auf dem Platz stand und seit meinem Kreuzbandriss beim allerletzten meiner Spiele habe ich tatsächlich auch kein Amateurspiel mehr gesehen) aber auch zu sehr verloren gegangen, um hier ernsthaft noch Vergleiche ziehen zu können.

Und während ich so sinniere, tut die Bandenwerbung alles, um mich komplett zu irritieren:

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Dortmunder Union Pils! Warum hängt das da? Ich hab Urlaub!! Im weiten Rund gibt es die Plörre jedenfalls nicht. 

Zurück zum Wesentlichen:

Auf dem Platz wird eigentlich wenig gefoult, dafür umso mehr geschrien. Teils höchstgradig peinlich, bitte mehr Erstligafußball und Champions League schauen und lernen! Der Schiri fällt mal mehr, mal weniger darauf rein. Einmal - zumindest aus meiner Sicht - deutlich "mehr", als er in der 1. Nachspielminute der 1. Halbzeit plötzlich auf Handelfmeter für Whitehawk entscheidet. Ich war auch nicht der einzige, der laut gelacht hat.

In Sachen Psychospielchen ist der Lewes-Keeper auf jeden Fall schon ein ganz Großer: Er sprintet zur Ersatzbank an der Mittelline, spricht ganz kurz mit irgendwem dort und geht dann in aller Seelenruhe zurück in seine Kiste, während der Whitehawk-Elfmeterschütze auf die Freigabe wartet. Genützt hat es am Ende nicht viel und so geht der WFC als Führender in die Kabine.

Was dann passiert, macht micht komplett wuschig: Obwohl an beiden Bierständen (den einen draußen und einen zweiten in einem kleinen Gebäude, wo es auch verdammt gut aussehende Pommes gibt) während des Spiels schon deutlich längere Schlangen auszumachen waren, als am Millerntor zur Halbzeit, setzen sich mit dem Pausenpfiff plötzlich mindestens 95% aller Besucher*innen auf den Hintertortribünen in Bewegung. Scheiße, wo wollen die alle hin? Wenn die auch noch Getränke oder auch nur pinkeln wollen, dann stehen die noch übermorgen hier. Aber Pustekuchen! Während wir auf der "Haupttribüne" stehen werden wir Zeug*innen, wie nicht nur die Spieler die Seiten wechseln, sondern auch die Fans. Die Zaunfahnen eingerollt, werden diese auf der anderen Seite wieder hingehängt. Wo gerade noch Lewes stand und saß, sitzt und steht jetzt Whitehawk und umgekehrt. Ich habe sowas tatsächlich noch nie erlebt, vermute aber, dass etliche Groundhopper*innen jetzt denken: "Häh? Is doch normal!" (Und meine Vermutung ist, dass die supportenden WFC-Fans erst nach dem Anpiff auf die Tribüne gegangen sind, weil sie zunächst checken wollten, auf welches Tor sie zuerst spielen.)

So sehen wir in der Zeit fast alle Zuschauer*innen und notieren für die Statistik: Ein WFC-Fan trägt ein FCSP-T-Shirt und eine Person auf der "Haupttribüne" einen zweigeteilten (Freundschafts- oder Spieltags-) schal, wo wir aber nur eine Seite von sehen können und das ist: Hannover 96.

Die Spieler gehen derweil in Richtung Kabine und tatsächlich durch einen per Hand von einem Ordner herausgezogenen, mega charmanten Spieler*innen-Tunnel (eher: Gitterkäfig), so dass die kreuzende Menge so lange warten muss. Fantastisch! 

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Mit Anpfiff der zweiten Halbzeit wird das Licht auf der "Haupttribüne" gedämmt. Denke ich zumindest. In Wirklichkeit ist das Flutlicht auf unserer Seite zu großen Teilen ausgefallen. Da das gegenüber aber noch wundervoll leuchtet, scheint das zumindest ausreichend zu sein. Kurz danach verletzt sich ein Whitehawk-Spieler leider so schwer am (ich glaube) Knöchel, dass er mit einer Trage und der Hilfe zweier Mitspieler das Feld verlassen muss. Ich knötter inzwischen verstärkt rum, dass mir arschkalt ist und ich nicht zwingend bis zum Ende bleiben muss. Ich habe auch mal gelesen, dass Groundhopper*innen nur eine Halbzeit bleiben müssen, damit "der Ground zählt" und betone das auch, doch S. holt mich auf den Boden der Realität zurück: "Wir sind doch gar keine Groundhopper*innen!" Ach ja, verdammt.

Trotzdem: Irgendwann ist uns beiden kalt genug, so dass wir in der 67. Minuten das Feld räumen. 4 Minuten später hören wir auf unserem Weg, vorbei am Campingplatz, lauten Torjubel. Das 1:0 hatten die Zuschauer*innen noch gefühlt emotionslos über sich ergehen lassen, möglicherweise weil der Elfmeterschütze als der Sicherste der Insel gilt. Beim jetzigen 2:0 in der 71. Minute jedoch ist der Jubel auch ein paar 100 Meter entfernt noch deutlich zu hören. Tja und unmittelbar danach ist das Spiel dann - wie wir wenig später online erfahren - zu Ende, da auch der Rest des Flutlichtes den Geist aufgegeben hat.

Was bleibt ist eine hervorragende vegane Pizza auf dem Rückweg und die Erkenntnis, dass es "ganz nett" war, (mal wieder) so eine mega charmante Sportanlage/Stadion gesehen zu haben. Aber auch, dass mich das Groundhopping-Fieber nicht mehr packen wird. Ein Spiel, wo mein Herzblut nicht drin steckt, wo ich keine Identifikation spüre, das ist einfach nix mehr für mich. Dafür habe ich mich vor vielen, vielen, vielen Jahren zu weit vom "allgemeinen Fußball" verabschiedet. Bringt mir nix, mir sowas neutral bis "ich bin eher für xy" anzuschauen. OK, mal so ein HSV-Spiel im TV mit einem Auge und im Hintergrund laufen zu lassen, um zu sehen, wie die verlieren, weil ich eh gerade keinen Bock auf irgendwas anderes habe, geht auch schon mal klar. Aber meinen Arsch in irgendein Stadion zu bewegen, so wie früher, um mir selbigen abzufrieren... nee, danke. Ich glaube nicht, dass mich das nochmal packt. Auch nicht im Sommer.

Gute Nacht!

 (PS: Nein, es gibt keine Spielanalyse beim Millernton!)

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